„Unter dem Dach der Kirche” – organisiert handeln zu können

Die Evangelische Kirche in der DDR war die einzige vom Staat unabhängige Organisationsstruktur, die landesweit öffentlich präsent war. Katholische Kirchgemeinden punktuell. Die nicht staatlichen Freiräume wurden genutzt, Räume wurden zur Verfügung gestellt; Menschen konnten hier in thematischen Austausch kommen; in der DDR verbotene Literatur wurde privat oft geteilt; Theologie-Studierende und kirchliche Mitarbeitende waren in oppositionellen Gruppen aktiv. Aus den Erfahrungen politisch motivierter SED-Repressionen bzw. den Möglichkeiten von staatlichen Strafmaßnahmen war die Beziehung von Seiten der Kirche durch viele Kompromisse bestimmt. Besonders jüngeren Menschen in den Jungen Gemeinden gefiel das nicht. Sie agierten öffentlich oft viel gesellschaftskritischer als Kirchenvorstände der Gemeinden. Es gab aber auch Jugend-/Pfarrer:innen oder andere kirchliche Angestellte, die weniger kompromissbereit waren und progressiv sehr freiheitlich handelten. Doch eine der Heute-Perspektiven ist, dass diese „Kompromiss-Beziehung Kirche-SED-Staat” die Oppositionsarbeit „unter dem Dach der Kirche“ erst mit-/möglich gemacht hat…



Ich bin aufgewachsen in einer protestantischen Familie. Das brachte schon mal in der Schule den einen oder anderen Ärger ein, aber ich bin in der Gemeinde sehr verwurzelt.

Die Wende, die fing ja schon viel eher an. Das ging damit los, dass die Luftverschmutzung immer stärker auf den Menschen lastete und es bildeten sich Umweltgruppen und die wussten nicht wohin. Und die Kirchen in der DDR waren damals offen genug und haben ihre Räume geöffnet – damit sich solche Gruppen “unter dem Dach der Kirche” treffen konnten. Es war nicht allen, die in der Kirche was zu sagen hatten, recht. Wir hatten als Junge Gemeinde schon vor 1989 Überzeugungsarbeit geleistet und unseren Lehrer und Pfarrer davon in Kenntnis gesetzt – dass, wenn wir die Schöpfungsberichte ernst nehmen – Bewahrung der Schöpfung, eine zentrale Aufgabe ist. Also auch die Öffnung der Kirche für nicht kirchliche Gruppen. Da bin ich einerseits stolz auf die Kirchen in der DDR. Andererseits weiß ich, dass nicht alles so leicht und selbstverständlich war.

Im Frühsommer ’89 fand ein kleiner Provinzkirchentag in Leipzig statt. Da brodelte es schon ganz unheimlich. Diese Starre der Gesellschaft war unerträglich geworden. Eigentlich war es für jede:n offensichtlich, dass sich was ändern musste. Aber der Staat wollte nicht. Und dann im Sommer die vielen Ausreisen – auch Freundinnen und Freunde gingen weg. Das tat mir im Herzen weh, weil ich dachte damals, dass man die DDR im Guten verändern könnte. Ein Christ hat immer Hoffnung, es muss ja möglich sein im Gespräch. Das hat mich damals sehr belastet. Für mich stand fest, ich bleibe hier.

Für mich bleibt es bis heute ein Wunder, dass da nichts passiert ist. Irgendwie haben wir alle innerlich befürchtet, die machen hier chinesische Lösung. Es waren da viele, die einen Anteil hatten: Gorbatschow behielt seine Panzer zurück; der „Aufruf der Sechs“ spielte natürlich auch eine Rolle. Also ganz viele Leute können für sich sagen, wir haben da großen Anteil, dass das friedlich abging. Für mich bleibt’s ein Wunder. Das ist auch das, was mir im Leben Hoffnung gibt, was mich in meinem Glauben bestärkt. Die Gesellschaft verändern, das ist nicht abgeschlossen, das muss weitergehen. Insgesamt bin ich natürlich froh, dass wir die Wende hatten. Ich bin sehr froh, dass es friedlich ging. Und ich hoffe nach wie vor, dass die Wende weitergeht.

Beate Ißmer

1989: 28 Jahre, Kinderkrankenschwester, ledig; seit 2000 Krankenschwester im Bereich Altenhilfe in der Sozialen Betreuung