Im Kontext von selbstverständlicher Ausbildung & Berufsleben
Durch die 1949 in der Verfassung der DDR festgeschriebene Gleichstellung von Frauen* und Männern* reduzierten sich in einer relativ kurzen Zeitspanne die tradierten Geschlechterdifferenzen in den Aus-/Bildungsbereichen extrem deutlich. Bereits in Mitte der 50er Jahre war es für die meisten jungen Menschen in der DDR selbstverständlich, die 10-klassige Oberschule und folgend eine Berufsausbildung zu absolvieren. Ein Recht auf „Abitur, Studium und freie Berufswahl” war damit aber nicht verbunden. Arbeiter- und Bauern-Kinder wurden bis in die 80er Jahre bei der Zulassung zur Erweiterten Oberschule (EOS), zur Hochschulreife bzw. zum Hochschul-Studium besonders bevorzugt. Folgend entsprachen oft Aus-/Bildungs- und Berufsbiografien von bestimmten Personengruppen – z.B. christlich sozialisiert aus Pastor:innen-Familien oder aus Familien mit beruflich selbstständig arbeitenden Eltern stammend – sehr oft nicht den eigenen vorhandenen Interessen bzw. individuellen Leistungs-/Befähigungen. Letztendlich entscheidend war der staatlich geregelte wirtschaftliche Bedarf an Arbeitskräften. So korrelierten Frauen-Sonderstudiengänge mit der Fachkräfte-Bedarfslage in der DDR. In diesem Kontext wurden z.B. sehr viele Ingenieurinnen in technischen Berufen ausgebildet – besonders in der chemischen und textilverarbeitenden Industrie, da diese in der DDR-Volkswirtschaft eine relevante Stellung hatten.
Ich habe natürlich gemerkt, wenn ich was Kritisches geäußert habe, dass das nicht bei allen gut angekommen ist – in der Schule oder der Uni. Aber ich hatte nie wirklich Schwierigkeiten in der DDR.
Wir haben an der Uni das eine oder andere Unkonventionelle veranstaltet und sind da sicherlich auch manchmal ein bisschen aufgefallen. Aber das war alles nichts, wo ich sagen würde, ich war „in Opposition zum System“. Ich habe viel drüber nachgedacht, was die DDR für mich ist, weil ich fand, dass die Politik nicht sinnvoll war – gerade in Bezug auf die Jugend. Die Idee Sozialismus war eigentlich gar nicht so schlecht. Aber das, was gemacht wurde, war nicht das, was ich mir unter Sozialismus vorstellte. Aber dass ich Teil von Oppositionsgruppen gewesen wäre, das war überhaupt nicht so.
Ich bin eigentlich aus Versehen in den Herbst ’89 „reingerutscht“ – richtig reingerutscht am 2. Oktober. Ich war damals in einer Gruppe, die literarisch-musikalische Programme gemacht hat, auch mit eigenen Texten. Ich spielte da Gitarre. Montags war Probe in Wiederitzsch. Ich wohnte in Paunsdorf und fuhr immer mit der Straßenbahn zur Probe. Am 2. Oktober endeten alle Straßenbahnen am Augustusplatz. Die Bahn fuhr nicht weiter, sondern stand mittendrin in tausenden Leuten. Ich dachte damals: Naja, die hier demonstrieren, die wollen eh alle ausreisen. Das war meine Vorstellung von den Oppositionsgruppen, die sich in kirchlichen Räumen getroffen haben. Ich hatte keine Ahnung, denn ich kannte niemanden, der Kontakte zu den oppositionellen Gruppen hatte.
Am 2. Oktober habe ich gehört, was auf der Demonstration erzählt, gerufen und gefordert wurde. Und das war das, was mich auch umtrieb. Dieses … mit diesem Land nicht mehr klarzukommen. Ich hatte eine völlig falsche Vorstellung von denen, die sich in der Nikolaikirche trafen und die sich in der Opposition engagierten. Ich habe erst am 2. Oktober festgestellt, was diese Menschen umtreibt und dass das eben auch ganz viel von dem war, was wir in der Seminargruppe besprachen, was ich mit Freundinnen oder auch mit meinen Eltern diskutiert habe. Das waren dieselben Dinge. Am 9. Oktober hatte ich richtig Angst. Ich bin nur zur Demonstration gegangen, weil ich mich mit jemanden verabredet hatte und nicht feige aussehen wollte. Alleine, glaube ich, hätte ich gekniffen. Das war schon eine Woche später, am 16. Oktober, ganz anders: Ich hatte überhaupt keine Angst mehr. Da war so eine Gewissheit, dass vom Staat nichts mehr kommt. Kurz danach war es aber wieder gefährlicher, weil die Nazis kamen und anfingen, die linken Demonstranten zu verprügeln.
Es gab ganz viele Bewegungen in fast allen Bereichen. Und ich habe mich sehr schnell in die studentischen Bewegungen des Herbsts 89 eingebracht. Schon im November, wenn ich mich recht erinnere, wurde eine freie studentische Vertretung an der Universität gegründet, und ich habe viel in den organisatorischen Bereichen mitgewirkt. Ein Jahr später wurde ich zur Sprecherin des StudentInnenrats für die ganze Universität gewählt.
Wichtig war uns – war mir – Diskursräume aufzubauen, wo sich Studierende austauschen können: Was ist wichtig für eine Hochschule? Wie stellen wir uns Hochschule vor? Die Konzepte, die wir damals geschrieben haben, waren paritätisch, also nicht: professorale Mehrheit in allen Gremien, sondern: Studierende, wissenschaftliche Mitarbeitende und Professoren haben jeweils ein Drittel Stimmenanteil. Gemeinsam hätten Studierende und wissenschaftliche Mitarbeitende die Profs also überstimmen können. Das haben wir aber nicht durchgekriegt, es war mit dem BRD-Hochschulrahmenrecht nicht vereinbar. Oder auch solche Sachen an der Uni zu behalten, die in der DDR eigentlich gut funktioniert haben z. B. wenn eine Studentin Mutter oder ein Student Vater wurde. Da gab es in der DDR Sonderstudienpläne, die Schwangerschaft bzw. Kind und Studium zusammenbrachten – und ein Weiter-Studieren mit Kind ermöglichten. Wir haben Gleichstellungsstrukturen aufgebaut. Im Begriff StudentInnenrat zum Beispiel wurde schon das große „Binnen-I“ verwendet. Das, was wir heute unter geschlechtergerechter Ausdrucksweise diskutieren – bestimmte Bezüge auch in der Sprache mit abzubilden – das war damals für einen Teil der Studierenden schon ziemlich selbstverständlich. Auch Verkehrspolitik, so was wie das Semesterticket oder bessere Bedingungen zum Radfahren, also ökologisches, klimaschonendes Handeln – war 1990 bei uns schon Thema.
Susanne Wagner.
1989: 21 Jahre, ledig, Studentin, Pädagogik Deutsch/Englisch (nicht abgeschlossen); 1991–1992 StudentInnenRat Uni Leipzig | Sprecherin; 1992 – 1998 Studium von Allgemeiner Sprachwissenschaft, Anglistik, germanistischer Linguistik und Informatik an der Universität Leipzig | Magistra artium; 1998 – 2002 Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften Leipzig | Dr. phil.; 2002 – 2014 Projektleiterin | Forschungsstelle zur Rehabilitation von Menschen mit kommunikativer Behinderung (FST), Uni Halle/Saale; seit 2014 Abteilungsleiterin, BBW Berufsbildungswerk Leipzig für Hör- und Sprachgeschädigte