Uta Schlegel
1989: 46 Jahre, Lebensgemeinschaft, Soziologin am Zentralinstitut für Jugendforschung
Als Abteilungsleiterin am Zentralinstitut war ich erst sehr spät in die SED eingetreten. Und ich bin 1989 nicht ausgetreten, weil ich der Überzeugung war, und ich habe das auch so geäußert, dass nicht die Basis versagt hat. Sondern ich habe schon lange die immer größer werdende Schere wahrgenommen zwischen der Parteibasis und der Parteispitze. Das könnte ich auch empirisch belegen. Wir haben uns als Zentralinstitut auch direkt verhalten, z. B. zu den Äußerungen von Egon Krenz, als er in Peking war und für die DDR, falls hier ähnliches passieren sollte, chinesische Verhältnisse androhte. Oder zum Sputnik-Verbot. Wir fanden das unter aller Würde, dass diese Zeitschrift verboten wurde, und äußerten uns, dass wir dagegen sind. Auch als Parteigruppe. […]
Kohl behauptete ja damals, dass wir in fünf Jahren die Einheit vollzogen haben werden, wir „blühende Landschaften” haben und sozusagen „ein einig Volk von Brüdern” sind. Und wenn du Soziologin bist, oder Politologin, dann hast du genau gewusst, dass dies das Einzige ist, das nicht passieren wird. Nach vierzig Jahren unterschiedlicher politischer Kultur, familiärer Kultur… einschließlich natürlich der völlig unterschiedlichen Stellung der Frau. Ich arbeitete damals bei der KSPW (Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern) zu individueller Verarbeitung von Transformationsprozessen insbesondere bei Jugendlichen, Frauen und sogenannten jungen Alten, also denen, die in Vorruhestand gehen und nicht zurück in den Arbeitsmarkt wollten. Damit war ich natürlich mit den Geschlechterverhältnissen an einer Stelle, an der ich gegen den Strom schwamm, weil ich ’93 in einer Publikation behauptete, dass – im Unterschied zu sonstigen Transformationsdebatten auf dem Hintergrund von Modernisierungstheorien – die Stellung der Frau in der DDR eine modernere, eine gleichberechtigtere war als in der BRD.
Ich sage nicht, dass alles in Ordnung war. Ich sehe auch die kritischen Punkte. Aber sie waren gleichberechtigter, und das kannst du belegen nicht nur am gesetzlichen Schwangerschaftsabbruch. An der Bildung kann man das auch gut festmachen. Seit ’73 hatten wir in der DDR mehr weibliche Student/innen und Akademiker/innen als männliche. Auch die ökonomische Situation der Frau war eine selbständigere. Frauen konnten sich also auch ungeachtet ökonomischer Verhältnisse scheiden lassen. Und da lag ich natürlich quer, als ich publizierte, dass die DDR modernere Geschlechterverhältnisse hatte. Das war ein bisschen zu früh. Damit gerietst du schnell in den Verdacht, ein ewig Gestriger zu sein und die DDR wiederhaben zu wollen, was natürlich für mich überhaupt nicht stimmte. Heute ist das unstrittig. Jetzt gehört das zum Alltagswissen. Aber damals war es noch politisch riskant, so etwas in der Wissenschaft zu behaupten.
Weiterlesen: in „Mutter sorg’ dich nicht. Hier ist alles in Ordnung. Alltägliches aus 1989“. Publikation der Frauenkultur Leipzig, 2009; 2. Auflage in 2021. Klick hier ->