Monika Lazar
1989: Ökonomie-Studentin an der Handelshochschule Leipzig; 1991 – 1993 Ausbildung zur Bäckerin; 1996 Aufbaustudium der Betriebswirtschaft, das sie 1998 als Betriebswirtin beendete; seit 1990 bei den Grünen / 1993 Mitglied Bündnis90/Die Grünen, von 2004 – 2021 Bundestagsabgeordnete: seit 2020 Abgeordnete im Leipziger Stadtrat
Die Handelsschule war ja mitten im Zentrum: Peterstraße, Petersteinweg, Hainstraße. Die meisten waren Genossen und Genossinnen. Ich war als eine von ganz wenigen nicht in der Partei. Ich war auch überrascht, dass es geklappt hat mit dem Studium. Meine Eltern waren damals mit einer Bäckerei selbständig. Bei der Zulassung zur EOS, zum Abitur also, musste mein Vater auch erst ein bisschen Krach schlagen – nach dem Motto, die Zensuren sind doch gut. Aber man war in der Minderheit. Von daher sage ich mir auch heute – als Grüne ist man ja häufiger in der Minderheit – mir fällt das nicht schwer. Ich habe das in der DDR gelernt und es hat mir auch Kraft gegeben.
Seit ’88 ging ich in Abständen zum Friedensgebet in die Nikolaikirche. Es hat mich schon immer interessiert, als einzige unserer Seminargruppe. Eine Ausreise wäre für mich nie eine Alternative gewesen. Als ’89 die Leute alle über die Botschaften – Ungarn, ČSSR – raus sind, habe ich gedacht: Nein. Das will ich nicht. Ich wollte nie in den Westen. Ich hatte keine nahe Verwandtschaft da, hätte also gar nicht gewusst, wohin. Zwar entfernte Verwandte, aber die waren mir nie sympathisch, eher abschreckend. Aber ich habe gesagt, ich bleibe bewusst hier. Ich möchte in der DDR was verändern. Das wurde immer bewusster im Sommer ’89. Und als es die Möglichkeit gab, in Leipzig auf die Straße zu gehen, sagte ich: Genau das ist es. Da fühlst du dich jetzt wohl. Und das ist die Stelle, wo du jetzt richtig bist.
Als die Grenze offen war, änderte sich was. Es kamen diese ganzen Leute mit ihren Fahnen, aus denen das Emblem rausgeschnitten war. Das hat mir nicht gefallen. Aus “Wir sind das Volk” wurde “Wir sind ein Volk*, die schnelle Wiedervereinigung wurde gefordert. Da dachte ich: Jetzt bekommst du den Kohl, das kann ja auch nicht sein. Ich wollte auch jetzt die DDR nicht bewahren, aber die Tendenz, die die Montagsdemos annahm, hat mir nicht gefallen. Erst recht nicht, als nationalistische Töne reinkamen. Ich dachte: Wie furchtbar schnell das geht! Vier Wochen vorher war man sich noch einig und auf einmal fragte ich mich: Demonstriere ich noch mit den richtigen Leuten? Ich sagte aber, dass ich trotzdem immer hingehe, weil ich mir dachte, dass ich dies den anderen nicht überlassen will. Die letzte Demo war am Montag vor der letzten DDR-Volkskammerwahl im März 1990.
Weiterlesen: in „Mutter sorg’ dich nicht. Hier ist alles in Ordnung. Alltägliches aus 1989“. Publikation der Frauenkultur Leipzig, 2009; 2.Auflage in 2021. Klick hier ->