Christa Gottschalk
1989: 61 Jahre, geschieden, ein Sohn, Schauspielerin am Leipziger Schauspielhaus. 1997 wurde sie zum Ehrenmitglied des Leipziger Schauspielhauses ernannt.
Vor zwanzig Jahren haben wir uns die sogenannte Wende anders vorgestellt. Ich bin mehr dafür zu sagen, dass die Deutsche Einheit wiederhergestellt wurde. Das Wort Wende ist mir ein bisschen suspekt. Bei einem Interview Anfang der Neunziger sagte ich, dass ich in Deutschland geboren bin und jetzt bin ich in Deutschland wieder angekommen. Wir wussten noch gar nicht, was uns alles erwartet und übergestülpt wird und wie viele Menschen plötzlich hierher kamen und ihr Schnäppchen machten und uns mit Bananen bewarfen. Ich esse gar nicht gerne Bananen. Ich bin damals nicht wegen der Bananen auf dem Karl-Marx-Platz gewesen. Jetzt bin ich ziemlich empört und zornig über vieles, was uns zugemutet wurde. Mein Idealismus, der mich ein Leben lang begleitet hat, ist zwar nicht gebrochen, aber gedämpft.
Ich bin keine Widerstandskämpferin. Ich möchte nicht zu denen zählen, die das jetzt von sich behaupten. Ich kam zu dem Ergebnis, dass ich immer dann, wenn ich dazu herausgefordert wurde, Flagge gezeigt habe. Oft reagierte ich spontan und saß dann mit zitternden Knien zuhause. Zur Zeit der Neuberin hieß es noch: „Nehmt die Wäsche weg, die Komödianten kommen.“ Inzwischen hat man uns zu Paradiesvögeln gemausert. Eine gewisse Narrenfreiheit blieb uns auch in den dogmatischsten Zeiten. […]
Im Oktober 1989 sagte mein nun erwachsener Sohn, mich umarmend: „Für eins bin ich dir dankbar. Du hast mich nie zum Anpasser erzogen.” Das war eines der größten Komplimente, dass er mir machen konnte.
Weiterlesen: in „Mutter sorg’ dich nicht. Hier ist alles in Ordnung. Alltägliches aus 1989“. Publikation der Frauenkultur Leipzig, 2009; 2.Auflage in 2021. Klick hier ->